Tarek aus Niedersachsen war mit unserem Stipendium in Japan. Hier berichtet er über seine Erfahrungen nach einem halben Jahr in Japan.
Schon sechs Monate sind nun schon vergangen und es fühlt sich an als fliege die Zeit nur so an einem vorbei. Vieles ist passiert, leider nicht nur Gutes. Dennoch sind es alles Erinnerungen und Erfahrungen, die mich in meinem weiteren Leben prägen werden.
Der Wechsel meiner Gastfamilie im Schüleraustausch in Japan
Das wohl wichtigste Ereignis in den vergangenen drei Monaten war mein Familienwechsel, den ich und meine damalige Gastfamilie zwar bedauern, dennoch bereue ich ihn nicht im Geringsten. Der Wechsel hat mein Leben hier für kurze Zeit auf den Kopf gestellt. Ich war sehr überrascht und verletzt, da der Wechsel von einem auf den anderen Tag entschieden wurde.
Zwar hatte meine Austausch-Organisation zusammen mit mir und meiner Gastfamilie nach einer Lösung für unser Problem gesucht, da meine Gastmutter aber leider zu keinem Kompromiss bereit war und ich mich selber nicht komplett verdrehen wollte, war die einzige Lösung der Wechsel in eine andere Familie. Dieser wurde dann auch so schnell durchgezogen wie er beschlossen wurde.
Eine Nacht nach unserem gescheiterten Gespräch stand schon meine Übergangsfamilie für den nächsten Monat fest. Ich hatte einen Tag, um meine Sachen zu packen, mich von meinem Judo-Dojo zu verabschieden und das wohl Schwierigste war für mich, mit dieser Situation, umzugehen, fertig zu werden und zu akzeptieren, was gerade um mich herum passierte. Ich war immer noch sehr enttäuscht, da ich trotz meiner Bemühungen nicht die Anforderungen meiner Familie erfüllen konnte und diese selber auch nicht bereit war, mir entgegen zu kommen. Auch die Stimmung in diesen zwei Tagen war für mich schwer zu ertragen, da ich und meine Gastfamilie ein eigentlich sehr gutes Verhältnis zueinander hatten, weshalb mich das Geschehene umso mehr mitgenommen hatte. Der folgende Abschied war voller Tränen, guter Worte und einem schmerzenden „Auf Wiedersehen“, dennoch sollte ich nach diesem Wechsel drei wundervolle Monate erleben.
Meine neue Gastfamilie in Japan war perfekt
Das ist wohl die beste Beschreibung, die ich nach einem gemeinsamen Monat sagen kann. Begrüßt wurde ich von einer kleinen, zierlichen aber umso freundlicheren und herzlicheren Gastmutter. Traurig und niedergeschlagen kam ich in meine neue Familie, aber schon nach wenigen Tagen war ich so glücklich und sorglos, dass ich ihnen dafür immer noch extrem dankbar bin.
Nicht nur die Mutter, auch mein neuer Gastvater hatte mich mehr als herzlich begrüßt, weshalb ich mich umso schneller wieder richtig wohl fühlen konnte. Dennoch waren das Beste an dieser Familie wohl meine vier Gastgeschwister, davon zwei Jungen und zwei Mädchen, zusammen eine unschlagbar nette, verständnisvolle und herzliche Familie.
Auch dass drei meiner vier Gastgeschwister schon ein Jahr im Ausland verbracht hatten, machte diese Familie zu einem perfekten Ort für Gastschüler. Jeder in der Familie wusste, was es bedeutet, ein Austauschschüler zu sein und welche Schwierigkeiten es mit sich bringt.
Meine Zeit mit dieser Familie war die wohl Beste meines bisherigen Aufenthalts hier in Japan, nicht nur wegen der unzähligen Dinge, die wir zusammen unternommen haben, sondern auch aufgrund der Gespräche mit meinen Gastgeschwistern und Eltern, welche mir Japan und gerade das Japan der jüngeren Generation näher gebracht haben.
Zudem hat sich mein Japanisch in dieser Zeit deutlich weiterentwickelt. Die täglichen Gespräche und das Haus voller Leute, die von ihrem Tag berichten, hat mir einiges an sprachlichem Selbstvertrauen gegeben. Zusammenfassend kann ich nur sagen, dass mir dieser gemeinsame Monat extrem viel Spaß und Freude bereitet hat. Das Angebot der Familie, jederzeit mal vorbeizukommen, werde ich auf jeden Fall wahrnehmen.
Mein Besuch in Hiroshima
In dieser Zeit ist aber noch einiges mehr passiert. Zusammen mit den anderen Austauschschülern meiner Organisation bin ich nach Hiroshima gefahren, wo mich ein Wochenende voller Freunde erwarten sollte. Dennoch, was diesen Ausflug wirklich besonders und unvergesslich gemacht hat, war der Besuch des Hiroshima Peace Memorial Museum, einem Museum, welches die Geschehnisse und Folgen des Atomangriffes der USA auf Hiroshima zeigen und verdeutlichen soll.
Mich hat diese Ausstellung sehr stark getroffen und erschüttert, besonders die detailgetreuen Wachsfiguren welche zeigen, wie lebende Menschen nach der Explosion mit zerfetzten Kleidern verwirrt umherlaufen und ihre Haut wie geschmolzenes Wachs von ihren Knochen tropft. Es war eine unvergessliche Erfahrung, welche mich emotional sehr erschüttert hat, mich aber meinem Gastland und seiner Geschichte näher gebracht hat. Auch hat mir der Ausflug gezeigt, wie wichtig es ist, die Menschen daran zu erinnern, was damals passiert ist und dass so etwas nie wieder passieren darf und vielleicht tragen wir Austauschschüler einen kleinen Teil dazu bei, dass andere Länder und Kulturen sich besser verstehen und somit eventuell eine so dumme Konfliktlösung wie Krieg verhindert werden kann.
Meine japanische Freundin
Eine wohl ganz andere Erfahrung, dennoch eines meiner Highlights hier in Japan, ist, dass ich nun seit fast einem Monat eine japanische Freundin habe und auch dies mich und Japan und seiner Kultur näher gebracht hat und hoffentlich auch weiterhin näher bringt. Denn nicht nur Dinge wie Essen, Schule und dass die Autos auf der anderen Seite fahren sind anders, sondern auch wie Pärchen sich verhalten oder verhalten sollten.
Denn im Gegensatz zu Deutschland sind hier Dinge wie Küssen in der Öffentlichkeit verpönt und nicht gerne gesehen. Auch der Fakt, dass viele Pärchen nicht Händchen halten, hat mich verwundert. Hier sind Jungs und Mädchen deutlich mehr voneinander getrennt als in Deutschland. Dies spiegelt sich auch durch die privaten Jungen- und Mädchenschulen wider. Da ich mich selber auf einer Jungenschule befinde und somit fast keinen Kontakt zu Mädchen hatte, war ich umso glücklicher, als ich mit meiner Freundin zusammen kam.
Deutschland ist in meinen Gedanken ganz weit weg
An Zuhause denken, wissen wollen wie es allen geht und was die Freunde wohl gerade machen, egal wie spannend und aufregend ein Auslandsjahr ist, ganz vergessen kann man sein Heimatland einfach nicht. Manchmal tut der Gedanke an Zuhause weh. In meiner Zeit hier hatte ich öfters dieses Problem, aber genauso schnell wie Heimweh kommt geht es auch wieder. Auf jeden Fall ist das bei mir so.
Auch da der Termin für meine Rückreise nach Deutschland immer näher kommt, versuche ich mich mehr und mehr auf meine Zeit hier zu konzentrieren, das Beste für die nächsten Monate rauszuholen und nicht zu sehr an Zuhause und die Familie zu denken.
In meiner dritten Gastfamilie fühle ich mich sehr wohl
In meiner jetzigen Familie befinde ich mich nun seit fast einem Monat und ich fühle mich extrem wohl. Ich habe eine sehr verständnisvolle und liebe Gastmutter und auch mein Gastbruder hat mich herzlich aufgenommen. Mein Gastvater arbeitet in Tokio, weshalb ich ihn nur an den Wochenenden sehe, aber auch mit ihm verstehe ich mich super, nur bleibt nicht viel Zeit zum Reden. Meine Gastschwester befindet sich momentan auch für ein Jahr im Ausland, sie werde ich voraussichtlich zwei Wochen vor meinem Rückflug treffen.
Im Prinzip ist mein Leben hier ähnlich wie bei meiner zweiten Gastfamilie, nur dass ich mir jetzt ein Zimmer mit meinem Gastbruder teile, was für mich aber überhaupt kein Problem ist, da wir super miteinander klar kommen. Auch dass ich jetzt nur noch 20 Minuten von meiner Schule entfernt wohne, macht es deutlich angenehmer morgens dorthin zu kommen. Zudem lebt meine Gastfamilie ziemlich zentral zwischen Osaka und Kobe, sodass ich innerhalb weniger Minuten in die jeweilige Stadt komme, was Treffen mit Freunden und meiner Freundin sehr vereinfacht. Zwar ist mein Leben ruhiger geworden im Vergleich zu meiner zweiten Familie, trotzdem fühle ich mich pudelwohl und blicke mit Freude auf die nächsten gemeinsamen Monate.
Die Schule in Japan ist ganz anders als in Deutschland
Die Schule ist weiterhin eine der Sachen, wo sich meine Gefühle spalten. Auf der einen Seite der Ort, wo all meine Freunde sind und ich täglich zusammen Judo machen kann, auf der anderen Seite ist das Schul- und Unterrichtssystem einfach so gegensätzlich zum deutschen, dass ich mich immer wieder schwer damit tue.
Im Gegensatz zu Deutschland wird im Unterricht nicht auf Kommunikation und gemeinsames Lernen gesetzt, sondern auf einen totalen Frontunterricht, wo der Lehrer im Prinzip eine 50minütige „One Man Show“ hält und versucht, den Stoff in der geplanten Zeit in die Köpfe der Schüler zu hämmern. Gerade da dieser Unterricht nicht für das individuelle Lernen gedacht ist, zeigt sich immer wieder, dass Schüler schlafen oder nicht aufpassen. Die Schüler sind leider nicht Teil des Unterrichts. Deshalb können sie auch genauso gut die Notizen des Nachbarn später dann zuhause kopieren. Zwar werden manchmal auch Fragen gestellt, aber dies ist eher die Ausnahme. Um den Stoff wirklich zu verstehen, müssen sich die Schüler fast täglich Stunden lang zuhause hinsetzen und lernen. Der Nachhilfeunterricht ist nicht nur für die schwächeren Schüler, sondern etwas wo fast hundert Prozent der Schüler hingehen müssen.
Trotz all dieser Maßnahmen ist zum Beispiel das Niveau an meiner Schule gesunken und die Noten schlechter geworden. Anstatt eines Umdenkens wurde gesagt dass wohl doch zu wenig gelernt würde, weshalb seit zwei Jahren auch an Samstagen Schulunterricht stattfindet. Zwar sind die Disziplin und der Wille bewundernswert, aber dass Schüler teilweise bis spät in die Nacht lernen müssen, um dem Unterricht folgen zu können, obwohl sie jeden Tag bis mittags Schule haben und danach noch in die Nachhilfe gehen, scheint mir übertrieben und nicht wirklich so, wie ich mir ein Leben als Kind oder Jugendlicher vorstelle.
Dies macht es mir schwer, dem Unterricht an japanischen Schulen interessiert zu folgen, was meist darin endet, dass ich alleine mein Japanisch lerne. Trotzdem gehe ich gern in meine Schule, einfach aus dem Grund, dass ich jeden dort gern habe und es Spaß macht, mit meinen Mitschülern Zeit zu verbringen, auch wenn mich der Unterricht eher anödet.
Eurer Tarek