Camie aus Niedersachsen verbringt ihr Auslandsjahr mit unserem Austausch-Stipendium in Kanada in New Brunswick. Sie berichtet hier über ihre Erfahrungen. Ihre bisherigen Berichte findest du hier: www.schueleraustausch-portal.de/blog-kanada/
SchülerAustausch Kanada: Freunde finden und Englisch lernen sind einfach
Wer ein Auslandsjahr plant, fragt sich schon vor der Abreise, wie man am besten neue Freunde findet. Natürlich muss man vor Allem offen sein und von sich aus auf die Leute zugehen. Selbst wenn dein English nicht so gut sein sollte, versuch es einfach mit Smalltalk. Für die Kanadier ist es total normal, dass man (noch) nicht so perfekt Englisch kann. Sie haben viel Geduld und lassen dich einen Satz auch vier Mal sagen, bis sie dich verstanden haben.
Die Kanadier sind an mir und an Deutschland sehr interessiert
Zwischen den Unterrichtsstunden habe ich immer ein bisschen freie Zeit. Die Lehrer waren und sind sehr interessiert an mir. Das war ein ganz neues Gefühl, das ich gar nicht gewöhnt war. Ich habe viele Fragen über die deutsche Politik und vor allem über die deutsche Geschichte zu beantworten. Eine Frau fragte mich, aus welchem Deutschland ich kommen würde, Ost- oder Westdeutschland. Ich ließ sie wissen, dass ich aus Mitteldeutschland komme.
Schüleraustausch Kanada: Die Lehrer hier sind deine Freunde
Auf jeden Fall empfinde ich hier in Kanada meine Lehrer als Freunde, sie wurden in den vergangenen Wochen einfach dazu. Ganz anders als in Deutschland spielt das Verhältnis zu deinen Lehrer*innen keine Rolle bei deinen Noten.
Wir haben in jedem Fach alle zwei Wochen einen kleinen Test zu schreiben, ein Essay abzugeben oder erhalten eine Aufgabe. Die Lehrer*innen schauen sich deine Leistung an und danach wird die Note vergeben. Eine Note für mündliche Leistungen gibt es nicht.
Solltest du allerdings zum Sport ohne die notwendige Sportkleidung kommen oder einfach nur zu spät kommen, dann bekommst du notenrelevante Punkte abgezogen. In Mathe wiederum, kannst du auch mal eine Stunde unaufmerksam sein, solange du am nächsten Tag dein Arbeitsblatt ausgefüllt vorzeigen kannst.
Zwar endet die Schule jeden Tag um 15 Uhr, aber zwischen den Stunden hast du genug Pausen, um kurz runterzukommen und dich zu entspannen.
Wir hatten auch schon unsere ersten Schneetage. An diesen Tagen ist immer schulfrei. Bei unserem ersten Schneetag gab es über Nacht über einen Meter hoch Schnee.
Einmal im Monat gibt es eine Versammlung aller Schüler*innen. Dort werden viele Sachen besprochen, Termine und anderes mehr werden angekündigt. Um den “school spirit“ zu stärken, werden im Anschluss die verschiedenen Sportteams geehrt. Es werden gemeinsam Spiele gespielt. In der Weihnachtszeit hatten wir zusammen Weihnachtslieder gesungen.
Schüleraustausch: Das Video über meine Schule und mein Leben in Kanada
Weil es recht teuer ist ein Paket nach Deutschland zu schicken, hatte ich die Idee ein sehr persönliches Video für meine Mutter zusammen zu schneiden. Ich habe ihr meinen Alltag gezeigt. Meine Freunde, Lehrer*innen und meine Gasteltern konnte ich meiner Mutter näher vorstellen. Jeder hat mitgemacht. Ich durfte den ganzen Tag in der Schule an meinem Video arbeiten. Meine Freunde und die Lehrer*innen haben teils sogar noch selbst Worte an meine Mutter gerichtet. Das wäre in Deutschland undenkbar und die deutschen Lehrer*innen würden dabei ohnehin nicht mitmachen. Meine Gasteltern haben auch sehr nette Worte an meine Mutter gerichtet. Meine Mutter hat sich wahnsinnig über das Video gefreut, weil sie so einiges über meinen Alltag erfahren hat und nun einen guten Eindruck von meinem Leben hier hat.
Schüleraustausch Kanada: Die Schule in Kanada ist ganz anders
Mein Alltag hier ist ein ganz anderer als in Deutschland. Alles ist verändert. Während ich in Deutschland von der Schule so ausgepowert war, habe ich zu Hause nur noch Netflix gucken können. Natürlich, ab und zu habe ich mich mit meinen Freunden verabredet, dann haben wir zusammen Netflix geguckt. In Kanada beansprucht mich die Schule nicht so stark, weil die Lehrer*innen auf jede einzelne Schüler*in eingehen. Sie tragen dafür Sorge, dass auch der Leistungsschwächste mitkommt, gerade deshalb habe ich viel Neues gelernt.
In Deutschland ist man – in Unkenntnis – der Ansicht, dass die Schule hier geringere Anforderungen an die Schüler*innen stellt, als in Deutschland. Ich bin nicht dieser Meinung.
Ich gestehe ein, dass Fächer, wie Yoga, Kochen oder Outdoor-Leben nicht akademisch sind. Die Inhalte dieser Fächer geben das gute Gefühl, etwas für das Leben zu lernen. So findet man in Yoga viel über Religion heraus, beim Kochen lernt man viel über Ernährung, Biologie und Chemie und während des Outdoor-Leben Kurses erfährt man Wichtiges über Natur, Flora und Fauna.
SchülerAustausch Kanada: Hier macht auch Mathematik in der Schule viel Spaß
Selbst im Fach Mathe steht Vorbereitung auf das Leben an erster Stelle. Während die Deutschen lernen, wie lange Bauer Müller seine Kühe melken muss, um 5000 Liter Milch zu gewinnen, wenn eine Kuh in 32 Minuten und 18,5 Sekunden ein Menge von 8,327 Litern Milch gibt.
Hier in Kanada wird in Mathe gelehrt, welche die Unterschiede es zwischen Leasing, Finanzierung und Vermietung gibt. Wir haben die Raten, die monatlichen Belastungen und Zinsen berechnet, alles gegenübergestellt und verglichen. Uns wurde erklärt, was wir beim Kauf eines Autos alles in Rechnung ziehen müssen. Das war nur eines von sechs großen Themen. Das ist für das Leben wichtig, wen interessiert da schon der deutsche Bauer Müller mit seiner Milch.
Die Kanadier erreichen es viel besser akademische Themen mit den Themen des wahren Lebens zu kombinieren. Das ist hier natürlich auch von der jeweiligen Lehrer*in abhängig, aber immer besser als in Deutschland. Obwohl auch hier die Klassengröße zwischen 25 und 30 variiert, haben die Lehrer*innen Zeit für jede einzelne Schüler*in.
In Deutschland verbringe ich circa 70 Prozent meiner Freizeit mit meinen Vater, um für die Schule zu lernen oder um über die Schule zu diskutieren. Ich frage mich, wo genau das Problem liegt. In Deutschland sind die Lehrer*innen, die Schüler*innen und sogar die Eltern vom deutschen Schulsystem einfach nur noch gestresst. Hier in Kanada werde ich von Lehrer*innen und Schüler*innen geehrt für simple Dinge, wie eine Teilnahme an einem Schulsport-Wettkampf.
Schüleraustausch Kanada: In Kanada werden alle Menschen aktiv einbezogen
Wir haben hier an der Schule etwas 20 Schüler*innen mit geistiger oder körperlicher Behinderung und zwei Mitschüler*innen mit einer Sehbehinderung. Alle sind sehr gut integriert, haben eine echte Chance auf Gleichheit im Leben. Diese Mitschüler*innen nehmen an manchen Fächern mit uns gemeinsam teil, aber nicht an allen Fächern. Einer der geistig behinderten Schüler fragt täglich jeden, dem er begegnet, wie es ihm geht und wünscht dann einen schönen Tag. Dieser Schüler hat bei einer der oben beschriebenen Versammlungen zur Ehrung seines sozialen Engagements, was er durch sein Verhalten zeigt, eine ehrende Rede und ein Geschenk erhalten.
Wie ist das hier möglich und in Deutschland nicht? Auf der einen Seite liegt dies am deutlich besseren kanadisch Schulsystem, mehr noch aber an der Lebenseinstellung der Kanadier. Jeder, egal welches Geschlecht, welche Religion, welche Herkunft, welche politische Ansicht, welche Behinderung, welche Meinung oder gar welche Sexualität er mit sich bringt, wird nicht blöd angeguckt und ausgegrenzt, sondern immer respektiert.
Schüleraustausch: Viel Anerkennung von Engagement im Vergleich zu meiner deutschen Schule
Nach meinem Auftritt im Schultheater – meine Rolle umfasste einen einzigen lustigen Satz -, hat mir jede Lehrer*in gesagt, wie toll sie es doch findet, dass ich mich integriere, dass ich so sozial wäre und dass sie über meine Textstelle gelacht hätten.
An meiner deutschen Schule war ich im Schulvorstand, war in der Schülervertretung, war im Schulaufsichtsrat, habe mich für die Interessen meiner Freunde und Mitschüler eingesetzt, habe als Streitschlichter Kooperationsseminare geleitet, war fünf Jahre Klassensprecherin, ein Jahr Juniorschulsprecherin und habe geholfen die Projekte der UNESCO AG durchzuführen.
Von einigen wenigen Lehrer*innen, die involviert waren, habe ich auch mal ein kleines Minilob bekommen. Der Rest des Lehrerkollegiums hatte kein Interesse daran.
Als Sozialnote erhielt ich ein C. Eine Klassenkameradin erhielt ein A, obgleich sie sich für nichts engagiert. Sie hat überwiegend die Note 1 auf ihrem Zeugnis, im Gegensatz zu mir. Dagegen stellte ich eine freundliche Nachfrage und erhielt die unwirsche Antwort, dass ich doch bei Gericht Klage für eine bessere Note erheben könne. Mir fehlten die Worte, es blieb nur Enttäuschung.
Schüleraustausch: In Kanada ist auch nicht alles besser
Klar, es ist nicht alles gut oder besser in Kanada, aber ich kann zu 100 Prozent sagen, dass es mir hier psychisch durch die Offenheit, das Schulsystem und die Anerkennung viel besser geht.
Und genau DAS ist es, weshalb man ein Auslandsjahr machen sollte. Nicht um ein Jahr Urlaub zu haben, sondern um zu gucken, zu lernen und zu vergleichen, um sich seine eigene Meinung zu bilden. Man macht es, um ein Berater, ja das Bindungsglied zwischen zwei Völkern zu werden und später zu sein, vielleicht sogar ein Völkerverständiger.
Es grüßt Euch aus St. Stephen in New Brunswick, Kanada
Euere Camie

